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Das Minden-Ravensberger Land erlebte im 18. wie im 19. Jahrhundert zwei intensive Glaubensaufbrüche. Sie erfassten abertausende Familien, vor allem die ländliche Bevölkerung. Als „Erweckungen“ kennzeichnet deren tiefe, ernste Frömmigkeit zwei markante Epochen der regionalen Kirchengeschichte. Nachdem nach 1750 der lutherische Pietismus große Kreise gezogen hatte, erfasste viele Dörfer in Westfalens Osten vier Generationen später, im zweiten Quartal des 19. Jahrhunderts, ein „erweckter“ Neupietismus. Er begegnete offensiv den geistlichen Defiziten, die die Jahrzehnte der Aufklärungin Verkündigung und Seelsorge hinterlassen hatten. Die große Erweckungszeit zwischen 1840 und 1860 ließ, dem Erbe der einstigen „Gohfelder Erweckung“ verpflichtet, den Ruf zum Glauben jetzt wieder ganz laut werden.
Konzentriert auf das kirchliche Bemühen um strafrechtlich verurteilte Todeskandidaten zeigt das Buch die Seelsorgepraxis jener drei Epochen auf. Ein einzigartiges Quellendokument, ein Zeitzeugenbericht aus den Jahren 1847–1851, macht paradigmatisch die kirchliche Begleitung zweier zum Tod durch das Fallbeil verurteilter Mörder aus Isenstedt (Kreis Minden-Lübbecke), zugleich auch die Glaubenshaltung der „Erweckungszeit“ anschaulich. Die spektakuläre Vollstreckung in Lübbecke am 18. März 1851 sollte die letzte öffentliche Hinrichtung in Westfalen sein. Bis zu diesem Tag suchte ein „erweckter“ Laienhelfer täglich das Gespräch mit beiden im Gefängnis. Ihr „seliges Sterben“ auf dem Schafott geriet zur bewegenden Demonstration eines „erweckten“ Glaubens. Als aufsehenerregender „Seelsorge-Erfolg“ sollte das Geschehen noch für Jahrzehnte in der Öffentlichkeit des Minden-Ravensberger Landes nachwirken.
Ein umfangreiches Literaturverzeichnis ergänzt die Darstellung.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort • 7
Kap. 1:
Glaube und Seelsorge in der „Gohfelder Erweckung“ • 11
Minden-Ravensberger Glaubensprägung nach 1760; Pastor Friedrich August Weihe: Seelsorger der ‚ersten Erweckung’; Weihes Kennzeichen des pietistischen Glaubens; Weihes Seelsorgepraxis: Briefe und Lieder; Der wichtigste Zuspruch: die Nähe himmlischen Beistands; Die Todesstrafe im kirchlichen Kontext vor 1750; Seelsorge im „Lochgefängnis“; Hochburgen der Hexenverfolgungen; die Akzeptanz des Notwendigen.
Kap. 2:
Seelsorge der Aufklärungszeit an Todeskandidaten im Ravensberger Land • 35
Das neue Glaubensverständnis: eine Frage der Bildung; Die Erziehung zur Tugend; Der „aufgeklärte“ Dornberger Seelsorger Zur Hellen (1782); Bekehrung oder Besserung für den Straftäter? Die Konfrontation zwischen Pietismus und Moraldidaktik; Der Jahrhundertfall von Dänemark (1772); Hinrichtungen im Ravensberger Land nach 1750: die Vierfach-Hinrichtung in Bielefeld (1751), die Räderung auf der Löhner Heide (1805), letzte Hinrichtungen in Herford (1809/1810/1818); Die Räderung in Hiltrup (ca. 1825).
Kap. 3:
Das „erweckte“ Minden-Ravensberg – Eine Blütezeit der Seelsorge im frühen 19. Jahrhundert • 51
Die Todesstrafe in Minden-Ravensberg bis 1851 im rechtlichen Kontext: Das Preußische Landrecht (1794); Bindung der Seelsorge an das Pfarr-Amt; Botschaft des Gekreuzigten; Rettung der Seele als Triebfeder des Neupietisus um 1850; Erweckungs-Seelsorge im frühen 19. Jahrhundert; Johann Heinrich Volkening als „Pietisten-General“; Ein Platz für Frauen; Die neue Rolle der‚Stundenhalter’; Hausväter und Konventikel (Hauskreise).
Exkurs:
Der Laienprediger Wilhelm Flachmeier • 77
Kap. 4:
Kirchliche Begleitung zweier Mörder (1847–1851) • 91
Ein beispielloses Quellendokument; Der verborgene Überlieferungsweg; Die Intention der Abfassung; Das Gewaltverbrechen von Isenstedt im Jahre 1847; Die Mörder und ihr Opfer; Die Mordtat; Haft ohne Geständnis: die dreijährige Beugehaft in Herford; Prozess und Urteil: Tod durch Rädern (1850); Revisionsverhandlung und „Urteilsmilderung“: Enthauptung; Haft im Kreisgefängnis Lübbecke; Gefangenenseelsorge als Amtspflicht: pastorale ‚Unterweisung‘ bis zum Schafott; die Stunde der Laienhelfer; die Denkfigur des Teufels; Geständnis und Reue als seelsorgerliches Etappenziel.
Kap. 5:
Erweckliche ‚Seelenrettung im Vollzug’ • 123
‚Erweckungs-Seelsorge’ im Gefängnis: die ‚Bekehrung‘ des ‚Sünders‘ als Gesprächsziel; Das Ringen einer angefochtenen Seele; Der Durchbruch zur ‚herrlichen Seligkeit‘; Anfechtungen und Überwindungen; Lieder der Glaubensfreude; Der Besuch des Vaters; Abschied von Familie und Mithäftlingen: der ‚erweckte‘ Mörder als missionarischer Glaubenszeuge; Abendmahl am Vortag, Verbunden im Bekenntnis: das Reichen der ‚Friedenshände‘; Die letzte Nacht im Gefängnis; Die Fahrt zum Richtplatz; Die Hinrichtung am 18. März 1851; Ein erbauliches Traktat über
‚erfolgreiche‘ ‚Seelenrettung’; Erkenntnisse: Neupietistische Seelsorge im zeitgeschichtlichen Kontext.
Bildnachweis • 157
Literaturverzeichnis • 157
a. Ungedruckte Quellen • 157
b. Ältere Literatur • 158
c. Neuere Literatur • 160